VERÄNDERUNGEN GEHÖREN AM STANDORT MÜHLACKER ZUM ALLTAG
Der Chef kommt! Ist etwas schiefgelaufen? – Früher hat der Auftritt der Werkleitung in der Produktion bei manchen vermutlich ein eher mulmiges Gefühl ausgelöst. Doch heute, wenn Peter Knieknecht mit seinen raumgreifenden Schritten durch die High-Tech-Fertigung eines der größten europäischen MAHLE Werke geht, ist davon nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begegnen dem Leiter des Standorts Mühlacker ohne Vorbehalte. Man begrüßt sich mit Handschlag und offenem Blick, tauscht sich kurz aus – manchmal auch zu Privatem. Und wenn etwas nicht läuft, wie es sollte, bekommt das der „Chef“ bei seinen regelmäßigen Besuchen direkt mit. „Unser offener Umgang ist eine der wichtigsten Veränderungen hier am Standort und sicher Teil unseres Erfolgs“, erklärt Knieknecht, der seit 2001 im etwa 30 Kilometer westlich von Stuttgart gelegenen Mühlacker arbeitet.
TRADITIONSSTANDORT ERFINDET SICH NEU
Veränderungen gehören hier zum gelebten Alltag. Rund 1.300 Beschäftigte produzieren im Thermomanagement-Leitwerk von MAHLE eine Vielzahl an Produkten – von Kühlungskomponenten bis zum kompletten Modul. Erzeugnisse aus Mühlacker werden von Fahrzeugherstellern in der ganzen Welt verbaut. Mühlacker ist ein Hochlohnstandort, der Effizienz und Flexibilität bieten muss, um in dieser Spitzenliga der Automobilindustrie mithalten zu können. Stillstand kann man sich hier nicht erlauben. Vielmehr geht es täglich darum, komplexe Ideen innovativ und mit dem Maximum an Mehrwert für die Kunden umzusetzen.
Leistungsfähige Fertigungstechnologien, ein über die Jahre ständig weiterentwickeltes Produktionssystem und schlanke Prozesse sind in Mühlacker längst Selbstverständlichkeit und bilden die Grundlage für hohe Qualität und Liefertreue. Aber letztlich entscheidend sind nicht die Technologien und Prozesse, sondern die Menschen dahinter, die als engagiertes Team und mit ihrem permanenten Austausch von Wissen und Erfahrung die Erfolgsgeschichte jeden Tag weiterschreiben.
„Der Kostendruck ist gewaltig. Wenn wir uns nicht ständig verbessern, sind wir aus dem Rennen“, bringt es Fertigungsmeister Patrick Lachnit auf den Punkt und zeigt auf ein mannshohes Gebilde mit glitzernden Alu-Lamellen und zwei Rohren an den oberen Ecken. Was aussieht wie ein überdimensionaler Heizlüfter mit Widderhörnern, ist in Wirklichkeit das beeindruckende Kühlmodul für einen Truck der Marke DAF.
INDUSTRIE 4.0 IN DER PRAXIS
Gefertigt und montiert wird auf einer Ebene. „Möglichst kurze Wege sparen Zeit und Platz“, erläutert Produktionsleiter Vincenzo Sabetta. Entsprechend dem Grundprinzip „One-Piece-Flow“ habe man die Fertigung in den vergangenen Jahren immer wieder optimiert – nur einer von vielen Umbauten. Und so müssen die fertigen Riesenkühler von der Endmontage nur noch durch ein einziges Tor gebracht werden, bevor sie versandfertig auf dem Innenhof bereitstehen. Die Vorbereitung solcher Optimierungen erfolgt inzwischen mit Hilfe von 3-D-Scannern – nur ein Beispiel dafür, wie Industrie 4.0 inzwischen im Werkalltag angekommen ist.
Kostengünstige Produktion allein schafft aber noch keinen Wettbewerbsvorteil. „Die einzelnen Falzrohre der Kühler haben eine völlig neue Form“, macht Sabetta auf ein Detail aufmerksam. Das spart bis zu 25 Prozent Gewicht. Gleichzeitig ist die Kühlleistung größer, was wiederum die Leistung des Motors verbessert und dazu beiträgt, dass die strenge Euro-VI-Abgasnorm erfüllt wird. Ein Kühler ist wesentlich mehr als nur ein Rahmen mit ein paar Flachrohren, mit dem heiße Flüssigkeit aus dem Motorbereich wieder auf niedrige Temperaturen gebracht wird. Deutlich wird das, wenn man Dieter Essig über die Schulter schaut. Der erfahrene Einsteller nimmt gerade einen in Ziehharmonikaform gebogenen Blechstreifen unter die Lupe. „Die Höhe muss genau stimmen, und die Kiemen müssen sauber geformt sein“, erläutert er den Sinn der Prüfung. Kiemen? Tatsächlich besteht jeder Blechstreifen aus einer filigranen Struktur feiner Einschnitte – wie Kiemen eben. Das verbessert die Luftdurchlässigkeit und erhöht die Kühlleistung.
MEHR DIALOG UND VERANTWORTUNG
Seit seinem ersten Tag im Werk im fernen April 1980 hat sich für Essig viel geändert. Damals verhielten sich die Meister eher wie Patriarchen. Diskussionen waren die Ausnahme. „Heute werde ich gezielt nach meiner Meinung gefragt“, beschreibt Essig den Kulturwandel und ergänzt: „Das bedeutet aber auch, dass jeder von uns wesentlich mehr Verantwortung hat.“ Der offene Dialog kommt auch Patrick Lachnit – als Meister für 35 Mitarbeiter verantwortlich – entgegen: „Die frühere Umgangsart wäre auch nichts für mich“, räumt er ein. Außerdem würde dieser Führungsstil auch gar nicht mehr zum Ziel führen. Im Gegenteil: „Wir können uns nur weiter verbessern und Kosten sparen, wenn wir alle an einem Strang ziehen und jeder sich voll einbringt“, betont Lachnit.
Der Wandel in Mühlacker prägt auch die Lehrwerkstatt von Ausbildungsleiter Rüdiger Weik. Industrie 4.0 gehört bereits zum Lehrinhalt der Jugendlichen. „Zwar wird auch heute noch am Schraubstock gefeilt wie früher. Parallel aber lernen unsere jungen Leute unter anderem auch, wie man mit einem Roboter umgeht“, erläutert Weik. Aber nicht nur die Ausbildungsinhalte, sondern auch die Tonlage und die Einstellung gegenüber den Jugendlichen haben sich verändert. Die Ausbilder gehen heute mit dem Nachwuchs anders um. „Es geht heute mehr darum, den Jugendlichen den richtigen Weg zur Lösung zu zeigen, als nur richtig oder falsch vorzugeben. Wir sehen uns also mehr als Lernpartner denn als Lehrmeister“, so Weik. Wobei den Ausbildern auch heute gewisse erzieherische Aufgaben zukommen: „Wir machen schon deutlich, dass während der Arbeit nicht am Smartphone herumgespielt wird“, schmunzelt Weik über eine neumodische Marotte, die in seiner Lehrwerkstatt außen vor bleiben soll.
ZUSAMMENARBEIT NEU DEFINIERT
Damit der Teamgedanke überall im Werkalltag gewinnt, haben Peter Knieknecht und seine Führungskollegen die Art der Zusammenarbeit neu definiert und sich unlängst sogar entsprechende Regeln auferlegt. „Das war schon eine Umstellung“, gibt der Manager zu. Kein Telefon oder Laptop bei Besprechungen ist nur ein Beispiel dafür, wie diese Regeln dann im Arbeitsalltag umgesetzt werden. Doch der Wandel geht noch viel tiefer. „Unternehmerisches Denken erfasst heute alle Bereiche und betrifft jeden Einzelnen von uns“, stellt Knieknecht fest. Der Druck vom Markt ist nur zu bewältigen, wenn jeder mitmacht. Tempo und Vielfalt bestimmen heute den Alltag in Mühlacker. „Im Jahr 1980 boten wir zwei Produkte in unserem Bereich an. Heute sind es gut 80“, beschreibt Einsteller Essig den Wandel. „Dabei werden auch die Produkte immer komplexer. Und gleichzeitig müssen wir immer filigraner arbeiten, denn die verwendeten Ausgangsmaterialien sind nicht nur teuer, sondern auch schwer“, verdeutlicht Knieknecht. „Die Fahrzeughersteller erwarten von uns, dass möglichst leichte und kostengünstige Lösungen aus Mühlacker kommen.“
IM TEAM ZU NEUEN PRODUKTEN
Nadine Michels, verantwortlich für die Qualität im Bereich Abgaswärmetauscher und Vakuumlöten, beobachtet den wachsenden Druck seit gut zehn Jahren. „Die Anforderungen sind deutlich gestiegen“, stellt sie rückblickend fest. Zudem sind mehr denn je Flexibilität und schnelle Anpassung an die Marktveränderungen gefragt. Nadine Michels macht diese am Beispiel eines handtellergroßen Aluminiumteils fest, hinter dem sich eine spannende Entwicklung verbirgt. „Die Nachfrage nach solchen Batteriekühlern hat in kurzer Zeit deutlich zugenommen“, erklärt sie. Diese neuen MAHLE Produkte, die in kleinen Elektrofahrzeugen in China zum Einsatz kommen, werden unter speziellen Bedingungen, nämlich im Vakuum, gelötet. Dabei ist höchste Präzision gefragt. „Wenn etwas schiefgeht, ist gleich eine ganze Charge betroffen – bei entsprechend hohen Kosten“, verdeutlicht Michels die Herausforderung.
Solch komplexe Erzeugnisse und Produktionsverfahren entstehen zusammen mit den Entwicklern in Stuttgart mit Hilfe modernster CAD-Technik. Die Vorgabe für neue Produkte: hohe Belastbarkeit, geringer Materialeinsatz und möglichst niedrige Fertigungskosten. Gleichzeitig werden innovative Ansätze gesucht, um den Kunden einen technischen Vorteil zu verschaffen. Insgesamt sind alle Bereiche eingebunden: von der Entwicklung über die Produktionsplanung und Qualitätskontrolle bis zur Logistik. Zu den so optimierten Prozessen gehört inzwischen auch, dass die Einsteller vor Ort aktuelle Daten der Maschinen per Tablet erfassen. Sie können so früh Verschleiß und Abweichungen erkennen und schnell reagieren.
Und die nächste Veränderung für Mühlacker nimmt bereits sichtbare Formen an. Nachdem der MAHLE Standort aus dem nahen Pforzheim hierher verlagert wurde, folgt nun auch das Werk in Kornwestheim. Diese jüngste Zusammenlegung führt zu einer weiteren Umgestaltung in Mühlacker. Die Fassade ist schon eingerüstet, Kräne sind aufgebaut. Daneben wuseln Dutzende in orange gekleidete Arbeiter in und um eine Baugrube: klare Zeichen dafür, dass MAHLE in Mühlacker dabei ist, sich einmal mehr neu zu erfinden. Doch eines wird hinter den alten wie den neuen Mauern als Konstante bleiben: Nur das Team gewinnt.